Einzelausstellung Andreas Bunge:
„Unterwegs zu fernen Ufern“
Rede zur Ausstellungseröffnung am 28.11.2003 -
Irmgard Spierer-Gerhard
283 v. Chr. wurde bei Alexandria ein Turm erbaut, der seit dem 1. Jh. n. Chr. ein Feuer trug und bis zum 12. Jh. existierte. Er zählt zu den Sieben Weltwundern. Mit dem 13. Jh. begann man an der Nord- und Ostseeküste mit dem Bau von Leuchttürmen, meist in Form von steinernen oder hölzernen Baken, die ein offenes Holz- oder Steinkohlenfeuer trugen, sogenannten Blüsen. Bekannte Leuchttürme sind z. B. der steinerne Leuchtturm auf dem Eddystone Rock vor Plymouth, der „Rote Sand“ in der Wesermündung sowie sein Nachfolger „Alte Weser“, der unbemannt ist und vollautomatisch arbeitet. All diesen bekannten und unbekannten Leuchttürmen hat der Maler Andreas Bunge mit seinen Werken, die wir hier heute Abend sehen dürfen, ein Denkmal gesetzt.
Sein Interesse für Leuchttürme besteht schon seit ungefähr zehn Jahren. Natürlich hat sich Andreas Bunge, und das wäre ja nicht Andreas Bunge so wie wir ihn kennen, intensiv mit der Thematik befasst. Da gibt es jede Menge Bücher, Fach-Zeitschriften aus verschiedenen Ländern, Listen über Leuchttürme in aller Welt, alles leidenschaftlich gesammelt, akribisch geordnet und verinnerlicht. Da blieb es nicht aus, dass dieses Interesse und Wissen bildnerisch umgesetzt wurde: in Tafelbilder, gemalt in Acryl, hier in diesem Raum, und Aquarelle, die wir im Flur sehen können.
Die Aquarelle sind nicht nur Darstellungen des Hauptthemas Leuchtturm. Die Romantik wird aufgefangen durch technische Details, die den Bildern einen zusätzlichen Rahmen geben, eine weitere Dimension sind und ein Thema hinzufügen, das eigentlich sonst unsichtbar bliebe bei der bloßen Betrachtung eines Leuchtturms: Longitude und Latitude, auch Seekarten begleiten die Türme, die aus aller Welt zusammen getragen wurden: „Hells Gate“, „Faro de Castell de Ferro“ oder „K 4014“, um nur einige zu nennen.
Alle kulturellen Grenzen, alle Widersprüche einer kulturellen Identität, alle Konflikte alltäglicher Probleme scheinen abgeworfen. Diese Leuchttürme sind eben international. Sie helfen dem Seefahrer und natürlich auch dem Landgänger bei der Orientierung. Sie stehen an für die Navigation wichtigen Punkten und sind für die Insider durch ihre Form, Farbe und Lichtkennung identifizierbar. Leuchttürme bieten also Sicherheit für die See- und Landreisenden, obwohl sie, wie ich mir vom Maler sagen ließ, genau betrachtet ein Warnhinweis sind:
Halte dich fern – Gefahr!
Für Andreas Bunge haben Leuchttürme außerdem etwas Beständiges, sie vermitteln Urvertrauen. Vielleicht sollte man sich manchmal so einen Leuchtturm als Wegweiser bestellen können... Nicht nur einen Wegweiser, sondern auch einen Weg hat der Radfahrer gefunden, den wir auf dem Tafelbild „Reise zum Mond“ sehen.
Andreas Bunge malt realistisch.
Er imitiert das Gesehene, was aber nicht im Sinne von Kopie zu verstehen ist. Er unterwirft das Motiv seiner Malweise, gleicht es seiner Sehweise an und gibt es als Übersetzung in Farbe und Form wieder heraus. Die Farbe ist flächig und glatt angelegt, ohne Mystik, ergibt sich aber als fühlbare Einheit, indem sie Grundlage ist für das eigentliche Thema. In diesem Sichtbaren ist Stoff für ganze Bilderwelten vorhanden. Nicht der Stil ist der Mensch sondern die Wahl des Sujets.
Auch bei dem Titel „Reise durch die Nacht“ (Ballon, Möwe, Leuchtturmwärter...) wird das Thema vertieft durch die Wiederholung des Hauptmotivs und bereichert durch eine Geschichte. Hier spüren wir etwas von der Einsamkeit, die den Leuchtturmwärter der früheren Jahrhunderte befallen haben mag. Für den Maler ist diese Einsamkeit auch nicht erstrebenswert, sondern für ihn ist eher das Kulturdenkmal faszinierend, das seit eh und je die gleiche Optik hat. Und die Technik und die alte Mechanik, die zum Teil seit 150 Jahren immer noch funktioniert. Viele interessante Geschichten kann man damit verbinden.
So ist auch in jedem Bild Platz gelassen für die phantastischen Reisen. Die Sicherheit des alten Turmes ist der Ausgangspunkt. Die schwebenden Leuchttürme, der Titel ist „Sag mir wie viel Sternlein stehen...“ fasziniert durch eine gewisse Widersprüchlichkeit:
Wir werden durch die traditionell befeuerte moderne Malerei gleichsam zum Abheben in eine andere Welt, in einen anderen Seinszustand bewogen.
Das Bild „Hope Light“ erweckt Assoziationen zu Schiff in Not bei schwerer See.
Wie mag es den Seefahren ergangen sein, die vor zwei Jahrhunderten bei ähnlichem Wetter irgendwo an der Küste Englands strandeten und ihrer Ladung verlustig wurden.
Die Bewohner der Küsten fanden das seltsame Strandgut; es waren fremde Früchte. Sie wussten damit nichts anzufangen, schnitten die Schalen in Stücke, zuckerten sie ein – und die berühmte englische Orangenmarmelade war geboren.
Irmgard Spierer-Gerhard